30.000 Jahre bis ca. 10.000 Jahre vor Christus – aus dieser gewaltig langen Kulturspanne der Menschheit fanden Archäologen und Archäologinnen fast ausschließlich menschliche Darstellungen von Frauen, und mittendrin – zwischen all diesen Frauenfiguren – der elf Zentimeter große, weltweit bekannte Superstar: die Venus von Willendorf.
Diese alt- und neusteinzeitlichen kleinen Frauen-Darstellungen in den unterschiedlichsten Ausprägungen und Materialien wurden von Ostasien bis Westeuropa und in Afrika gefunden, sie haben die Künstler des 20. Jahrhunderts fasziniert, sie haben die Kunstgeschichte in ihren Grundfesten erschüttert.
Ein Ruck geht durch die Ästhetik der Kunst
Wie die Venus die feministische Kunst inspirierte, zeigt eine Ausstellung im MAMUZ in Asparn an der Zaya (Bezirk Mistelbach) mit dem Titel „Die Sprache der Göttinnen“. Elisabeth von Samsonow, Philosophin und Künstlerin, hat die Ausstellung mitkuratiert und erzählt voller Leidenschaft: „Die Kunstschaffenden konnten den Historismus explodieren lassen, indem sie plötzlich diese Werke rezipiert haben. Also ist die Fundgeschichte der Archäologie auch die Produktionsgeschichte der modernen Kunst“.
Die Ausstellung „Sprache der Göttinnen“ im MAMUZ in Aspern an der Zaya stellt deshalb die archaischen Kunstwerke den modernen Kunstwerken gegenüber. Der wissenschaftliche Leiter des Museums und Landesarchäologe, Franz Piler, ergänzt: „Es sind beide Zweige zur selben Zeit entstanden, im späten 19. Jahrhundert. Die Anregungen, die aus den archäologischen Entdeckungen gekommen sind, die haben Künstler und Künstlerinnen verarbeitet.“
Der weibliche Körper neu gesehen
Der weibliche Körper, dessen Ausstrahlung und Macht, war über viele Generationen von Kunstschaffenden hinweg Inspiration für Darstellungen aller Art. Weibliche Figurinen der Urgeschichte hallen bis in die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts nach. Etwa, als Egon Schiele 1918 die bekannte Venus von Willendorf skizziert, Meret Oppenheim 1933 die bronzene Urzeit-Venus erschafft und Maresa Jung 2021 Fotografien von Gemüse anfertigt, das in seiner Form an weibliche Figurinen erinnert.
Im beginnenden 20. Jahrhundert galt dieser prähistorische Einfluss als anregend, zugleich verlockte er zu einer anderen Erzählung von Geschichte, nämlich aus weiblicher Perspektive. Damit bildeten die Figurinen die Grundlage einer Alternative zur aus privilegiert männlicher Perspektive verfassten Geschichtsschreibung.
Samsonow: „Eine längst fällige Ausstellung“
Elisabeth von Samsonow verweist auf die Dringlichkeit der nun realisierten Ausstellung: „Die Sprache der Göttinnen ist eine Ausstellung hier im MAMUZ, die ein Experiment wagt, welches längst fällig gewesen wäre für Österreich, nämlich die Zusammenstellung von archäologischen Funden mit zeitgenössischer Kunst. Wie darf man sich das vorstellen? Die archäologischen Funde sind nicht irgendwelche Funde, es sind Funde von weiblichen Figurinen aus der Ur- und Frühgeschichte, die nicht nur in Österreich, sondern weltweit bekannt sind, wie die Venus von Willendorf, die Popstar-Status hat.“
Aus Anlass dieser Ausstellung werden weiblich konnotierte Funde aus österreichischen Sammlungen und Museen präsentiert und in einen internationalen und zeitgenössischen Kunstkontext gestellt. Österreichs Sammlungen beherbergen die wichtigsten archäologischen Referenzen für zeitgenössische feministische Kunst weltweit, die den weiblichen Körper, dessen Ausstrahlung, Macht und Bezug zum Leben thematisieren.
Frauen als Kunstschaffende schöpfen Mut
Gerade die Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts sahen in der Beschäftigung mit den rätselhaften, archaischen Frauenfiguren eine große Chance für sich und eine Bestätigung für eine weibliche Sicht der Welt. „Frauen kamen bis ins späte 19. Jahrhundert nicht vor in der Kunstszene. Es gab sie kaum. Die Kunstproduktion war männlich, die Geschichtsinterpretation war männlich“, erläuterte Samsonow weiter.
Die Vielzahl an prähistorischen Figuren aus Niederösterreich haben im späten 20. Jahrhundert die internationale feministische Kunst auf maßgebliche Weise beeinflusst und dienen nach wie vor als Referenzen für die Herstellung und Wiederherstellung nicht nur einer weiblichen Kunstgeschichte, sondern eines weiblichen Subjektes in der Geschichte.
„Das ist jetzt eine sehr, sehr wichtige Sache, ein Experiment. Es ist längst fällig gewesen, und nun endlich ist es hier zu sehen“, freute sich Samsonow. Die zeitgenössischen Werke der Künstlerinnen, die im MAMUZ ausgestellt sind, sprühen auch vor Einfallsreichtum, Witz und Selbstironie. Gerade letztere Eigenschaften lassen viele Werke männlicher Kollegen oftmals missen.
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