Ob Erz, seltene Erden oder Mangan: Alles, was es für die Energiewende braucht, ist reichlich da. Noch hat der Bergbau ein Schmuddelimage. Das soll sich ändern
Mit einem Ruck setzt sich das ockergelbe Gefährt in Bewegung und nimmt mit lauten Vibrationen Fahrt auf. In Höhe des Fahrerhauses, das rund vier Meter über dem staubtrockenen Boden liegt, blinkt auf einem seitlich abstehenden Gestänge ein grelles blaues Licht. Kommt mir nicht zu nahe, scheint das fahrende Ungetüm weit in die Landschaft hinein zu rufen. Und das aus gutem Grund.
Der Kipper ist groß wie ein Haus und bereits ohne Zuladung 150 Tonnen schwer. Voll befüllt mit Eisenerz wiegt das Ungetüm aus Stahl, Gusseisen, Aluminium und Gummi an die 390 Tonnen. Nichts für schwache Nerven.
Alles ferngesteuert
„Welches Spezialtraining ist nötig, um diese Monster sicher zu bewegen?“, frage ich den Nächstbesten, der mir in Schutzkleidung über den Weg läuft. „Nothing special“, antwortet dieser, gestikuliert mit den Händen und deutet auf den Muldenkipper, der gerade losgefahren ist. „Da ist niemand drin. Alles remote, ferngesteuert aus Perth. Übrigens – ich bin Austin. Nice to have you here.“
Australien ist kompliziert unkompliziert. Was wie ein Widerspruch klingt, ist gelebte Praxis hier. Australier und Australierinnen sind lösungsorientiert, praktisch veranlagt, vom Typ her: „Take it easy.“ Der fünfte Kontinent, wie Australien auch genannt wird, hat sogar gewisse Ähnlichkeiten mit Österreich. Das betrifft etwa die föderale Verfasstheit der Nation.
Ähnlichkeiten
Hier neun Bundesländer mit ziemlich großer Machtfülle und entsprechend selbstbewusst auftretenden Landeshauptleuten. Dort sechs Bundesstaaten, die bis auf Tasmanien alle um ein Vielfaches größer sind als Österreich, aber auch um einiges stärker im Durchsetzen von Eigeninteressen gegenüber der Zentralregierung in Canberra.
Das dortige Parlament wird kommenden Samstag, 3. Mai, neu gewählt. Das passiert alle drei Jahre, der normale Wahlrhythmus in Down Under. Seit den vergangenen Wahlen wird Australien links regiert. Im Mai 2022 erreichte die bis dahin oppositionelle Labor Party die absolute Mehrheit im Repräsentantenhaus. Sie verdrängte die seit 2016 und davor von 1996 bis 2007 ununterbrochen regierenden Konservativen von der Macht. Premierminister wurde der Sozialdemokrat Antony Albanese. Jetzt muss er um seine Wiederwahl zittern. Die Teuerung und der prekäre Wohnungsmarkt stoßen vielen Aussies sauer auf.
Austin steckt in blauem Overall, gelber Jacke sowie braunen Stiefeln mit Schutzkappe. Er ist 41 Jahre alt und hat einen Master of Science in Mineral and Energy Economics von der Curtin-Universität in Perth in der Tasche. Frau und Kinder sind dortgeblieben, er ist zum Wochenpendler geworden.

Sein Arbeitgeber, Fortescue, habe ihm vor zwei Jahren ein Angebot gemacht, in der Region Pilbara im Nordwesten des Landes nach dem Rechten zu sehen. „Man hat mich zum schnellen Lösen von Problemen geholt, kleinen wie größeren“, sagt Austin. Stationiert ist der 41-Jährige nahe Christmas Creek, knapp zwei Flugstunden von der Millionenmetropole Perth entfernt. Die Arbeit mache Spaß, das Heimfliegen freitagabends aber auch, sagt er und lacht vielsagend.
Die Fortescue Metals Group (FMG) ist eines der größten Bergbauunternehmen Australiens. Mit Sicherheit ist es das jüngste, möglicherweise auch das innovativste der Branche, wie man sich allenthalben erzählt. Fortescue habe eine Wette auf die Zukunft laufen.
Mögliche Blaupause
Viele in der Branche würden versprechen, mit Bergbau keinen Raubbau an der Natur zu begehen, ihn so weit wie möglich sauber zu machen, zu dekarbonisieren. Große Worte, wenn man weiß, dass Bergbau eine der schmutzigsten Industrien weltweit ist. So ganz hinbekommen habe das tatsächlich noch niemand, auch Fortescue nicht. Der Bergbaukonzern mit Sitz in Perth habe aber die weitestgehenden Schritte zum Verdrängen klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) aus den Produktionsprozessen unternommen. Wird dieser Weg konsequent fortgesetzt, könnte dies zur Blaupause für viele andere Bergbauunternehmen werden, nicht nur in Australien.
Das Land ist reich an Bodenschätzen wie kaum ein anderes. Viele liegen dicht an der Oberfläche, wie Geoscience Australia, eine Behörde der Regierung in Canberra, in akribischer Arbeit im Lauf der Jahrzehnte erhoben hat. Ob Lithium, Kobalt, Nickel oder seltene Erden: Alles, was es für die Energiewende im Generellen und die Produktion von Batterien im Speziellen braucht, ist hier reichlich vorhanden.

Gegründet 2003, betreibt Fortescue mehrere Großminen. Das börsennotierte Unternehmen, dessen Name sich von einem Fluss im Nordwesten des Bundesstaats Western Australia ableitet, hat sich ebendort 88.000 km2 Land gesichert; das ist zweimal die Größe der Schweiz und noch ein paar Berggipfel mehr.
Zum Vergleich: Der britisch-australische Konzern Rio Tinto, der ebenfalls riesige Eisenerzminen in der Pilbara-Region betreibt, besitzt 11.000 km2 Land; BHP Billiton, ein weiterer Riese im weltweiten Bergbaubusiness, kommt auf etwa 7000 km2. Der gigantische Landbesitz in der Pilbara-Region verschafft Fortescue Zugriff auf geschätzt zwei Milliarden Tonnen Eisenerz – ein Material, das auch für die Energiewende benötigt wird, insbesondere für die Produktion von „grünem“ Stahl, bei der keine fossilen Brennstoffe zum Einsatz kommen.
Begehrlichkeiten
„Wenn man im Outback mit einem Hammer einen beliebigen Gesteinsbrocken zerschlägt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man irgendein bedeutsames Mineral vor sich hat“, erzählen Mitarbeitende der geowissenschaftlichen Forschungsanstalt Australiens. Seit China begonnen hat, wichtige Rohstoffe im Land zu horten und beim Export auf die Bremse steigt, sieht sich Australien verstärkt im Blickpunkt des Interesses aus vielen anderen Teilen der Welt.

Der Bergbau ist eine der größten Industrien des Landes, er trägt etwa zehn Prozent zum Bruttoinlandsprodukt Australiens bei. Jede Regierung, ob fortschrittlich oder konservativ, ist gut beraten, nichts gegen den Willen der Hauptakteure dieses mächtigen Sektors zu machen. Böse Zungen behaupten, dass die Bergbauunternehmen zumindest indirekt immer mit am Regierungstisch sitzen.
Bis zu 45 Grad Celsius
Zurück in die Region Pilbara. Sie gehört zu den heißesten und unwirtlichsten Gegenden Australiens. Die Tageshöchstwerte liegen oft zwischen 40 und 45 Grad Celsius, in den Nächten sinkt das Thermometer selten unter 25 Grad. Im Sommer gibt es auch Regenzeit mit gelegentlichen Zyklonen. Das macht das Arbeiten dort entsprechend schwer.
Inzwischen hat sich ein zweiter Truck mit einem Ruckeln in Bewegung gesetzt. Vollbeladen mit Gesteinsbrocken und ferngesteuert aus der Zentrale im mehr als 1000 km entfernten Perth, fährt er mit ausreichend Abstand zu den anderen Fahrzeugen über eine schnurgerade Sandpiste. Links und rechts ist die Fahrbahn begrenzt durch künstlich aufgehäufte Erdwälle. Im Abstand von ein paar Hundert Metern sind Antennen aufgestellt. Über sie erfolgt die Kommunikation mit den Trucks.

Bis vor kurzem fuhren die Riesendinger noch mit Diesel; mittlerweile ist der Großteil elektrisch unterwegs. Im vergangenen Herbst hat Fortescue den Maschinenbauer Liebherr mit einem Milliardenauftrag betraut: Insgesamt soll das deutsche Unternehmen 475 Baumaschinen, darunter 360 Muldenkipper, 55 Bagger und 60 Planierraupen liefern, alle mit elektrischem Antrieb. Konkret geht es um die Integration von Batterie- und Brennstoffzellensystemen in bestehenden Mining-Truck-Modellen von Liebherr. Das soll Fortescue dem Ziel näher bringen, in absehbarer Zeit CO2-neutral zu werden.
Mastermind
Andrew Forrest (64) ist das Mastermind hinter Fortescue. Der ehemalige Aktienhändler hat den nach einem Fluss in der Pilbara-Region benannten Konzern zum drittgrößten Bergbauunternehmen Australiens geformt. Der Multimilliardär, der sich auch als Philanthrop einen Namen gemacht hat, ist gleichwohl umstritten. Das rührt nicht zuletzt von Forrests wachsendem Engagement gegen den Klimawandel her, den er als ernsthafte Bedrohung für die Menschheit sieht. Was manchen in der Bergbaubranche – und nicht nur dort – wegen des messianischen Eifers, den er dabei angeblich an den Tag legt, sauer aufstößt.

Forrest, der als Gründer und nunmehr Executive Chairman die strategische Ausrichtung von Fortescue bestimmt, will den Konzern Schritt für Schritt grün machen, dekarbonisieren. Dafür ist viel Pionierarbeit notwendig.
Im Moment spielten Kosten noch keine Rolle, weil vieles als Pilotprojekt laufe. Deshalb gebe es auch diverse Förderungen sowohl auf regionaler als auch staatlicher Ebene. „Wir sind eine Art Versuchskaninchen“, sagt Jay Williams, ein Riese von einem Mann. Seine Funktion: Leiter des Dekarbonisierungs-Bereitschaftsteams bei Fortescue.
Brechanlage
Bestimmungsort der Riesen-Lkws, die mit bis zu 80 km/h über die Staubpiste donnern, ist eine Brechanlage, etwa 20 km entfernt. Grob zerkleinert kommt das Eisenerz auf ein Förderband der XXL-Klasse, wie sie beispielsweise auch der heimische Gummi- und Kautschukkonzern Semperit baut. Zwei Meter über dem Boden schwebend wird das Erz sodann kilometerweit bis zur nächsten Verladestation transportiert, auf Waggons geladen, zum nächstgelegenen Hafen, Port Hedland, gebracht und verschifft. Die meisten Kähne gehen Richtung China.
6500 Kilometer beträgt die Distanz zwischen Port Hedland und Quingdao, einem der wichtigsten Umschlagplätze für Eisenerz in der größtem Volkswirtschaft Asiens. Quingdao liegt auf halbem Weg zwischen Schanghai und Peking. Von dort wird das importierte Eisenerz zu den über das ganze Land verstreuten Hochöfen gebracht, wo China Stahl für die ganze Welt produziert – oft zum Leidwesen der Konkurrenz.

Ein anderer Truck hat sich mittlerweile wieder unter die Baggerschaufel gestellt. Anders als die Riesenlaster sind die Bagger nicht ferngesteuert. In der Kabine sitzt ein Fahrer. Mensch. Zwölf Stunden am Stück rackert er sich am Berg ab. Dann ist sein Kollege dran, Tonne für Tonne des wertvollen Materials in den Muldenkipper zu hieven. So geht es Tag für Tag, Nacht für Nacht, das ganze Jahr durch.
Einer der Bagger ist bereits auf Wasserstoffbetrieb umgestellt, die anderen werden folgen. Damit wird Diesel zumindest bei dieser Mine in der Pilbara-Region irgendwann obsolet. „Wir ziehen das durch“, sagt Williams, hebt den Arm und deutet Richtung Elektroliseur. Dort wird der für das Betanken benötigte grüne Wasserstoff hergestellt.
Wasserstoff
Mit Wasserstoff betankt werden auch die Busse, die die Mitarbeiter morgens von ihren Behelfsunterkünften zum Einsatzort und abends wieder zurückbringen. Die extremen Bedingungen machten immer wieder Ad-hoc-Einsätze notwendig. Das regelmäßige Putzen der Solarmodule zur Erzeugung sauberen Stroms zähle dabei schon fast zur Routine.
Grün ist ein Wort, das man oft hört in diesen Wochen und Monaten. Die Regierung in Canberra weiß, dass sie die noch intensiv genutzte Kohle zurückdrängen muss, wenn sie das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 erreichen will. Erste Ansätze in der Stahlindustrie gibt es schon. In erster Linie denkt Rohstoffministerin Madeleine King bei „grünem“ Stahl aber an Europa. Dort, schätzt sie, seien Konsumenten und Konsumentinnen am ehesten bereit, einen Aufschlag zu zahlen, wenn das Produkt entlang der gesamten Wertschöpfungskette sauber ist.
Chance für Österreich
Statt Eisenerz zu exportieren und von den Preisschwankungen am Weltmarkt abhängig zu sein, möchte man die Wertschöpfungskette im Land selbst vertiefen. Und das gleich ordentlich, indem mithilfe von grünem Wasserstoff grüner Eisenschwamm als Vorprodukt für grünen Stahl hergestellt wird. „Wir suchen die Zusammenarbeit mit Europäern“, sagt Ministerin King.

Das ist ein gutes Stichwort. Will Australien nur einen Bruchteil dessen umsetzen, was es sich vorgenommen hat auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit, erfordert dies enorme Investitionen in erneuerbare Energien. Das sechstgrößte Land der Erde scheint prädestiniert dafür: viel Sonne, viel Wind und jede Menge unbewohntes Land, dessen Nutzung gleichwohl viel Sensibilität im Umgang mit den angestammten Rechten der Aborigines erfordert. Weil Österreich gerade im Green-Tech-Bereich einen guten Ruf hat, könnten sich hier durchaus Geschäftsmöglichkeiten für heimische Unternehmen ergeben.
Mittlerweile ist es Freitagnachmittag. Austin, der Problemlöser vom Dienst, blickt auf die Uhr. „Genug für diese Woche“, sagt er. „Ich gehe duschen und dann ab nach Hause. Take care.“ Auch andere Arbeiter machen sich auf den Weg, die meisten wie Austin zurück nach Perth, aber einige nach Bali. Bali? „Ja“, sagt einer im Vorbeigehen. „Dort kann man günstiger wohnen als in Perth, und es ist auch nur drei Flugstunden entfernt.“ (Günther Strobl, 26.4.2025)
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