Mitten im schwelenden Zollstreit mit den USA hat die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Leitzinssätze um jeweils einen Viertelprozentpunkt abgesenkt. Der maßgebliche Einlagensatz für Banken beträgt künftig 2,25 Prozent, teilte die Notenbank am Donnerstag mit. Der Leitzinssatz beläuft sich nunmehr auf 2,65 Prozent. Es ist die siebente Absenkung in Folge, seit die EZB im Juni des Vorjahres begonnen hat, das Zinsniveau in der Eurozone sukzessive wieder zurückzuführen. In der Spitze hatten es die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde bis auf vier Prozent geschraubt, um die Inflationswelle zu brechen.

Die Europäische Zentralbank hat den Einlagensatz für Banken in sieben Schritten von vier auf nunmehr 2,25 Prozent verringert.
IMAGO

Das ist auch weitgehend gelungen. Inzwischen ist die Teuerung in der Währungsunion auf 2,2 Prozent im März gesunken und liegt damit nur noch knapp über dem zweiprozentigen Zielwert der Notenbank. Aber auch die Wirtschaft in der Eurozone kann Rückenwind vertragen, denn die Konjunktur schwächelte bereits vor der Eskalation des Zollstreits mit den USA Anfang April. Lagarde hatte schon im Vorfeld der Zinsentscheidung vor deutlichen Einbußen beim Wirtschaftswachstum wegen des Handelsstreits gewarnt.



„Zünglein an der Waage“

„Mit einer Zinssenkung signalisiert der EZB-Rat Wachsamkeit und kann zumindest kurzfristig die relative Attraktivität des Euro begrenzen“, sagt Gunter Deuber, Chefvolkswirt bei Raiffeisen Research. Trumps chaotische Zollpolitik sei „mehr als nur ein Zünglein an der Waage“ für den Zinsschritt gewesen. Im März hatte Lagarde das Zinsniveau als „spürbar weniger restriktiv“, also die Wirtschaft und den Preisauftrieb weniger bremsend, bezeichnet, was als Signal für eine mögliche Zinspause im April galt. Warum die Notenbank nun anders entschieden hat? „Im Umfeld extremer politischer Unsicherheit will die EZB kalmieren, nicht eskalieren“, meint Deuber.



Dazu kommt die Stärke des Euro, der in den vergangenen Wochen stark aufgewertet hat. Seit Anfang Februar hat die Gemeinschaftswährung gegenüber dem Dollar um elf Prozent aufgewertet, da viel Kapital im Zuge des eskalierenden Zollstreits aus den USA abgezogen wird. Aber auch gegenüber eines Währungskorbs der wichtigsten Handelspartner befindet sich der Euro auf dem höchsten Stand seit seiner Einführung. „Das macht den Einkauf ausländischer Industriegüter und Rohstoffe zwar billiger und hilft, die Inflation zu drücken“, heißt es dazu aus dem gewerkschaftsnahen Momentum-Institut. Vor allem bei Treibstoffen macht es sich bemerkbar, wenn der Ölpreis und der Dollar wie zuletzt gleichzeitig stark sinken.



Schlecht für Export

Für die Exportindustrie ist ein hoher Eurokurs jedoch eine schlechte Nachricht. „Aus Sicht unserer Handelspartner kosten in Österreich und der Eurozone produzierte Waren damit umso mehr“, erläutert das Institut. „Dadurch wird ein chinesisches Elektroauto auf den Weltmärkten billiger, ein europäisches aber teurer.“ Dies trage zur Rezession der Industrie in Österreich und Deutschland bei. Ein niedrigeres Zinsniveau in der Eurozone sollte die Aufwertung der Währung aber bremsen, da diese weniger Zinsen einspielt.



Wie wird sich die EZB künftig verhalten? Wird sie das Zinsniveau weiter absenken? „Das aktuelle Umfeld bietet kaum Raum für Prognosen“, sagt Konstantin Veit. Der EZB-Rat dürfte daher an einer eher reaktiven als proaktiven Position festhalten. Solange es nicht zu einem ausgeprägteren Abschwung komme, erwarte der Markt weitere Absenkungen des Einlagensatzes auf weniger als zwei Prozent. „Dieser Wert ist auch weitgehend im Einklang mit unseren Schätzungen für eine neutrale geldpolitische Ausrichtung im Euroraum“, ergänzt Veit. Bei der nächsten Zinsentscheidung im Juni sollte die Notenbank zudem grundsätzlich prüfen, „ob ein klar expansiver geldpolitischer Kurs für die Sicherung des Preisstabilitätsziels von zwei Prozent notwendig sein wird“. Also, ob sie die Zinsen noch wesentlich stärker absenken muss.



Weniger US-Wachstum

In den USA hat sich unterdessen erstmals Jerome Powell, der Chef der Notenbank Fed, öffentlich zu den jüngsten, durch Trumps Zollpolitik ausgelösten Schwankungen auf den Finanzmärkten geäußert. Er sieht nach eigenen Angaben keinen dringenden Handlungsbedarf. Die Konjunktur sei trotz der erhöhten Unsicherheit weiter in einer „soliden Lage“, sagte Powell. Allerdings deuteten die bislang vorliegenden Daten darauf hin, dass sich das Wachstum im ersten Vierteljahr verlangsamt habe. Powell wiederholte frühere Aussagen, wonach die Auswirkungen der von Trump verhängten Zölle unklar seien, jedoch vermutlich „größer als erwartet“ ausfallen dürften. Die Fed könne zunächst die Zinsen konstant halten, „um auf größere Klarheit zu warten“.



Die Anleihen- und Aktienmärkte funktionierten gut, sagte er. Die Schwankungen zeigten, dass Investoren sich mit der neuen Situation befassten. Auf die Frage, ob die Notenbank bei einem Markteinbruch eingreifen würde, antwortete Powell mit einem Nein. Als Grund führte er an, dass die Märkte ihre erwarteten Funktionen erfüllten. „Die Märkte kämpfen mit viel Unsicherheit, und das bedeutet Volatilität.“ (Alexander Hahn, 17.4.2025)