„Offene Placebos“ können Wirkung erzeugen

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Die klinische Psychologin Anne Schienle aus Graz, die an der Abteilung für klinische Psychologie der Universität Graz arbeitet, wollte bei adipösen (fettleibigen) Kindern testen, ob „offene Placebos“ (wirkstofffreie Tabletten im Wissen der Patienten zu verabreichen) ihre übermäßige Esslust dämpfen. „Wir werden ständig mit Nahrungsreizen konfrontiert, die Appetit machen, sei es im Fernsehen, beim Vorbeigehen an einem Schaufenster oder in den Medien. Für Kinder sei es in solchen Situationen besonders schwierig, nur so viel zu essen, wie sie wirklich brauchen.

Allerdings hatten viele Eltern Vorbehalte gegen solche „offenen Placebos“, dass Schienle nicht genug Freiwillige für eine klinische Studie fand. „Sie haben gesagt: Mein Kind soll da nicht mitmachen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass das hilft“, so Schienle.

Viele skeptisch bei „offenen Placebos“

Daraufhin habe man sich an Erwachsene gewandt: „Wir haben daraufhin eine Umfrage bei 800 Erwachsenen durchgeführt, ob sie selbst eine ‚offene Placebo‘-Pille einnehmen oder ihren Kindern verabreichen würden“, sagte die Psychologin: „Es zeigte sich, dass offene Placebos stark polarisieren.“ Ein Drittel der Eltern lehnte die Mittel strikt ab und hielt eine Wirkung für nicht plausibel. Ebenfalls ein Drittel zeigte sich davon jedoch überzeugt und würde ein offenes Placebo selbst oder bei den eigenen Kindern ausprobieren.

Wer eine ganz klassische schulmedizinische Einstellung hat, will kaum offene Placebos versuchen, so Schienle: „Wenn aber jemand überzeugt ist, dass der Geist den Körper beeinflussen kann, ist dies ein positives Anzeichen, dass er diese als Therapiemöglichkeit akzeptiert.“

Bei Angststörungen guter Effekt von Placebos bekannt

Es sei tatsächlich so, dass Störungen gut auf Placebos ansprechen würden und etwa Symptome nachlassen. Und zwar bemerke man das laut der Psychologin überall dort, wo eine emotionale oder auch motivationale Komponente wichtig sei: „Zum Beispiel im klinischen Bereich der Angststörungen und Depressionen weiß man, dass der Placeboeffekt relativ groß ist.“ Es gäbe auch schon eine Reihe von Studien, dass auch offene Placebos ein Leiden reduzieren können und das Wohlbefinden steigern.

„Selbstheilungskräfte werden angeregt“

Sie seien eine fairere Alternative zu „klassischen“ Placebos, die mit Täuschung der Patienten arbeiten, so Schienle: „Wenn man den Betroffenen sagt, sie erhalten ein bestimmtes Medikament zur Verringerung ihrer Symptome, ihnen tatsächlich aber eine inerte (untätige, Anm.) Substanz verabreicht, ist das mit ethischen Problemen behaftet.“ Denn dadurch wird ihnen die rechtlich vorgeschriebene „Patientenaufklärung“ versagt. Bei offenen Placebos sei dies nicht der Fall. „Hier wissen die Patienten genau, dass die Substanz keine pharmakologische Wirkung hat, aber trotzdem helfen soll, die Symptome zu reduzieren“, sagte Schienle.

„Der Therapieerfolg kommt bei offenen Placebos vermutlich durch die körperlichen Rituale, die man von der klassischen Medizin zum Beispiel bei der Einnahme von Medikamenten kennt“, erklärte Schienle: „Das setzt unbewusste Mechanismen in Gang und regt die Selbstheilungskräfte an.“ Am besten wäre es demnach, wenn man die Einnahme des Scheinmedikaments richtiggehend zelebriert, anstatt es profan hinunterzuschlucken.

„Falsches Mundwasser“

Schließlich konnte die klinische Psychologin doch ein Experiment mit offenen Placebos durchführen, und zwar bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Wenn sie blau gefärbtes Wasser als Mundspray erhielten, reagierten die Kinder nach dem Betrachten von Fotos mit Süßigkeiten weniger stark darauf. Ihre körperlich automatisierte Reaktion, die etwa vermehrten Speichelfluss, physiologische Erregung und neuronale Aktivität in bestimmten Gehirnregionen umfasst, war geringer. „Die Jugendlichen und Erwachsenen zeigten hingegen mehr Skepsis gegenüber dem Konzept und der Effekt wurde nicht erreicht“, so Schienle: „Das weist darauf hin, dass die Wirkung offener Placebos von einer positiven Einstellung der Person abhängt.“

Mit offenem Placebo schneller gelaufen

Dass die Kinder nicht verstanden, was ein Placebo überhaupt ist, schließt sie aus: „Die Kinder haben gesagt: Eigentlich weiß ich, dass es nicht helfen kann, aber ich habe das Gefühl, es hilft doch.“ Auch Kindergartenkinder hätten auf offene Placebos angesprochen und hätten dadurch zu mehr Bewegung motiviert werden können. Sie erhielten von Schienle teils einen „Zaubertrank, der schneller macht“ als täuschendes Placebo, teils ein offenes Placebo. Anschließend sollten die Kinder möglichst flott laufen. „Mit beiden Arten von Placebo waren sie schneller als ohne“, berichtete die Psychologin.

Original Quelle:

orf.at

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