„Ui, das ist ein gewagtes Outfit“, das habe ich zugegeben schon öfter gehört, auch im beruflichen Kontext. Manchmal heißt es statt „gewagt“ einfach nur „interessant“. Unangenehm wird es spätestens bei: „So würde ich dich nirgends hinschicken.“ Das problematische Outfit? Eine elegante Stoffhose mit eng anliegendem Leiberl.
Mode im Büro ist ein großes Thema, auch wenn traditionelle Dresscodes langsam in den Hintergrund rücken. Sich ohne klare Linie zurechtzufinden, kann da schwerfallen. Auf TikTok präsentieren deswegen Frauen ihre Outfits für den ersten Arbeitstag – und ernten dafür in den Kommentaren oft grobe Kritik. „Auf gar keinen Fall darf man so in ein Büro!“, wird geschrieben. Zu viel Bein, zu viel Rücken, zu locker, zu leger – zu gewagt, zu interessant. Dass bis zu einem gewissen Grad Sexismus eine Rolle spielt, hört man klar heraus. Wie oft werden die männlichen Kollegen auf ihre schlecht sitzenden Anzüge oder zu engen Hemden angesprochen? Als junger Mensch fragt man sich: Was ist im Büro angebracht? Was geht zu weit und wie bleibt man seinem persönlichen Stil treu, ohne in Fettnäpfchen zu treten?
Für den KURIER macht die Autorin dieses Artikels den Selbsttest. Und holte vier Lieblings-Grauzonen-Outfits aus dem Kleiderschrank, um sie renommierten Styling-Beraterinnen zu präsentieren. Das ist ihr ehrliches Urteil.
Outfit 1: Hip-Hop-Animateurin für Kinder
Arbeitsuniformen stehen für Anpassung, meint ELLE-Modejournalistin Véronique Hyland. In ihrem Buch „Dress Code“ schreibt sie: „Ein Karriereratschlag ist, dass man sein wahres Ich an der Tür zurücklassen sollte, wenn man den Arbeitsplatz betritt.“ Für Authentizität sei kein Platz.
Diesen Rat ignoriere ich mit meiner ersten modischen Aufmachung und setze auf etwas Lässiges: ein graues T-Shirt, eine Latzhose, bequeme Sneakers und ein goldenes Kopftuch. Beim Fotoshooting kam meine Wahl gut an – die Expertinnen waren nicht so leicht zu begeistern. „Als Mitarbeiterin sind Sie die Visitenkarte einer Firma. Repräsentieren sie“, sagt Nathalie Stiegler zu Beginn des Gesprächs. Seit über zwanzig Jahren berät sie in Sachen Schönheit und bringt u. a. Erfahrung aus dem Private-Banking-Sektor mit. Eine Latzhose hat sie dort noch nie gesehen. Was der Stylistin besonders ins Auge sticht: „Die Träger sind zu lang und hören genau bei der Brust auf – dort wird das Gegenüber auch hinsehen.“
Nicht gerade optimal für ein Business-Umfeld. Doch ihre Kritik wurde noch härter: „Es erinnert mich an eine Animateurin, die in einem Hip-Hop-Studio für Kinder arbeitet.“ Autsch! Gegen die Latzhose hat Jasmin Oxley, Gründerin der Stilberatung Pur Style, weniger einzuwenden. Aus ihrer Kreativagentur-Zeit weiß sie: Bei Mode zählt Kontext. „In der Kreativ- oder Modebranche ist es okay, wenn man sie etwa mit sauberen (!) Schuhen und einer hochwertigen Bluse kombiniert.“ Von T-Shirts mit Slogan oder Comic-Print rät sie jedoch ab. „Selbst in der modernen Tech-Szene sind sie nicht mehr so gern gesehen.“
Auch für die erfahrene Stil- und Imageberaterin Bettina Kohlweiss ist der legere Look unter Umständen bürotauglich – „solange man nicht spontan Kundenkontakt hat oder zu einem wichtigen Termin muss.“ Man müsse sich immer fragen, wer die Zielgruppe ist und wen man überzeugen will.
Die erste Conclusio: Latzhosen überzeugen eher in einem Tanzkurs als in einem Bewerbungsgespräch. Wie man den lockeren Stil trotzdem repräsentieren kann? „Der Haarschmuck ist ein kreativer Schritt und setzt einen persönlichen Akzent“, meint Nathalie Stiegler.
Für den KURIER macht die Autorin dieses Artikels den Selbsttest. Und holte vier Lieblings-Grauzonen-Outfits aus dem Kleiderschrank, um sie renommierten Styling-Beraterinnen zu präsentieren.
Outfit 2: Eine gute Basis fürs Büro
Die Inspiration für das zweite Outfit war ein TikTok-Video: Eine junge Frau trug eine weiße Leinenhose mit ärmellosem Gilet – laut Kommentaren völlig unangebracht fürs Büro. Ich stelle den Look mit einem navyblauen Leinenanzug und weißem Leiberl auf die Probe. Laut Expertinnen sei der Anzug auf jeden Fall angebracht, sofern die Schultern verdeckt sind und der Ausschnitt etwas höher ist. Nackte Haut ziehe Blicke auf sich, aber dazu später mehr.
„Blau und Grau sind tolle Kompetenzfarben“, sagt Nathalie Stiegler. Und genau das will man ja auch in einem Büro vermitteln. Um den Business-Casual-Look etwas aufzupäppeln, würde sie zu einem anderen Oberteil greifen, „damit es nicht so ‘basic’ ist.“ Oder man sucht nach besseren Schuhen – etwas, zu dem Jasmin Oxley nachdrücklich rät: „Ballerinas, nicht allzu hohe Pumps, spitze Schuhe oder Sneakers eignen sich gut.“ Die richtigen Schuhe sind das A und O, meint auch Bettina Kohlweiss: „Sie geben Halt und Haltung.“
Outfit 3: Der Rücken entzückt (nicht)
Mit Mode-Kombination Nummer drei hoffte ich auf den sogenannten „Red-Sneakers-Effect“. Eine Studie der Harvard Business School besagt nämlich, dass sich modische Nonkonformität in bestimmten Fällen positiv auswirken kann. Und ein bewusstes Abweichen von Etikette dazu führt, dass man kompetenter wirkt. Warum? Weil man scheinbar keinen Wert darauf legt, andere zu beeindrucken (wie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg mit seinen Kapuzenpullis). Ob nicht ganz so weiße Schuhe, lockere Jeans und ein rückenfreies Top diesen Effekt erzielen?
Nein, sind sich die Expertinnen einig. „Grundsätzlich ist die Kombi mit Jeans und Streifen gut als Business-Casual-Look“, sagt Jasmin Oxley. Der Rücken mache hier jedoch einen Strich durch die Rechnung. Für ein Büro ist er zu tief ausgeschnitten. Das ist ein Problem. „Ob ich es möchte oder nicht, das menschliche Auge reagiert auf Haut. Man schaut automatisch hin, was ablenkend ist“, erklärt Bettina Kohlweiss. Auch die massive Schuhsohle der abgenutzten Sneakers würde den Look weniger bürofit machen. „Hier spielt Respekt hinein“, meint Nathalie Stiegler. Man würde kommunizieren, dass es einem die Mühe nicht wert ist. Den „Red-Sneakers-Effect“ könne man stattdessen mit Schmuck, gutem Schnitt und Material erreichen, so Kohlweiss.
Nathalie Stiegler Modeberaterin und Gründerin von Vienna-Styling; Jasmin Oxley, Stylistin und Gründerin der Stilberatung Pur Style; Bettina Kohlweiss, Stil- und Imageberaterin sowie Personalistin
Outfit 4: In den Club oder ins Büro?
Kurze Hose, bauchfrei und Ausschnitt: das letzte Outfit bricht alle Tabus. Darf man sich das im Büro erlauben? Die Antwort überrascht.
Shorts sind laut Jasmin Oxley in Ordnung, wenn man dunkle Strümpfe trägt und sie mit einem Longblazer kombiniert. Auch kürzere Tops, die etwas Bauch zeigen, seien manchmal okay. Problematisch ist die Kombination, meint sie: „Entweder man zeigt etwas Dekolleté und trägt dazu eine lange Hose – oder umgekehrt.“ Bettina Kohlweiss sieht das anders: „Die Frage ist nicht, ob es gut aussieht, sondern wie es wirkt. Tragen können Sie dieses Outfit auf jeden Fall … im Club. Aber nicht im Büro.“ In der Arbeit sollte der Fokus auf den Kompetenzen liegen, nicht auf Körper und Kleidung, sagt die Expertin.
Herausstechen findet Nathalie Stiegler an sich nicht schlecht, aber es sollte geschmackvoll sein: „Provokation und Stil sind nicht dasselbe.“ Auch wenn viele es nicht zugeben wollen: Oberflächliches kann viel bewirken, sagt sie. „Gutes Styling zeigt Einsatz. Dadurch wird man ernster genommen.“ Zur Orientierung kann man auf Firmenhomepages, offiziellen Social-Media-Kanälen oder Jobanzeigen den unausgesprochenen Dresscode finden.
„Am Anfang der Karriere kann Mode eine Stütze sein und Selbstsicherheit geben“, ergänzt Kohlweiss. Umso sinnvoller sei es, sich mit dem eigenen Erscheinungsbild auseinanderzusetzen, herauszufinden, was einem steht, und wie sich die eigene Individualität in eine Unternehmenskultur übersetzen lässt. Ein guter Stil ist bekanntlich zeitlos, was angesichts des aktuellen Wandels der Firmenkulturen (und somit auch der Arbeitskleidung) praktisch ist.
Ich für meinen Teil werde meinen „gewagten“ Stil nach dieser Expertenbewertung zumindest etwas überdenken – aber Latzhose und Sneakers bleiben!
Ist die kurze Hose ein Kündigungsgrund?
Ist ein modischer Fauxpas Grund genug, um gekündigt zu werden? Auf sozialen Plattformen hört man von solchen Fällen – besonders in den USA. Immerhin sind kurze Hosen in „Corporate America“ absolut undenkbar. Ob man auch hierzulande aufgrund eines Fashion-Fehltritts gekündigt werden kann, fragt der KURIER bei der Arbeiterkammer Wien (AK) nach.
Grundlos gekündigt AK-Arbeitsrechtsexperte Alexander Tomanek betont, dass es in Österreich keinen Grund für eine Kündigung braucht: „Man kann immer kündigen, solange man Fristen und Termine einhält.“ Lässt man sich etwas zuschulden kommen, kann man sogar fristlos entlassen werden. Dass eine falsche Kleiderwahl ein Entlassungsgrund ist, kann er jedoch nicht bestätigen. Hier bewege man sich im Diskriminierungsbereich – „und wenn eine Kündigung oder Entlassung diskriminierend war, kann man sie anfechten.“ Etwa bei Diskriminierung aufgrund von Geschlechterdarstellung oder Religion.
Gewisse Regelungen gibt es dennoch. „In manchen Jobs muss man sich an Schutz- und Hygienevorschriften halten“, so Tomanek. Oft werden auch Uniformen verlangt, etwa in der Gastro, im Einzelhandel oder in Berufen, in denen man damit Seriosität ausdrücken will – in einer Bank oder eben vor Gericht.
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