Von Gabriele Flossmann
Kann ein Hund einen Schauspielerpreis gewinnen? Er kann. Und zwar in Cannes. Dort wurde der vierbeinige Hauptdarsteller dieses Films mit dem „Palm Dog Award“ ausgezeichnet. Mit dem Preis für den besten Film-Hund.
Er kann zwar nicht sprechen oder gar sein Sein oder Nichtsein nicht in einem klassischen Monolog kommentieren, dafür aber zu einem Lied der französischen Chansonnière Véronique Sanson herzzerreißend mitjaulen.
Kann ein Hund schuldig sein? Dieser wesentlich kniffligeren Frage geht nun dieser Film nach. Bis das Gerichtsurteil gesprochen wird, gilt erst einmal die Unschuldsvermutung. Film und Hund sind auf jeden Fall bissig. Zumindest was ihren Umgang mit der heutigen Gesellschaft betrifft. Der Hund, um den es hier geht, ist der treue Begleiter eines Sehbehinderten. Aber er beißt gerne zu. Und er ist offenbar ein Wiederholungstäter. Weil er drei Frauen gebissen hat, soll er auf Anordnung des Gerichts eingeschläfert werden. Obwohl die Chancen auf Freispruch nahezu aussichtslos sind, schaltet sein Herrchen eine auf hoffnungslose Fälle spezialisierte Anwältin ein. Sie soll den Hund verteidigen. Mit allen Mitteln, die einem Rechtsstaat zur Verfügung stehen. Die Verhöre rund um die vermeintliche Frauenfeindlichkeit des Hundes und die Analysen eines beigezogenen Hundeverhaltensforschers werden im Laufe des Films immer bizarrer.
Die Schweizer Regisseurin Lætitia Dosch, die das Drehbuch geschrieben und auch selbst die Rolle der Anwältin von Hund und Herrl übernommen hat, erweist sich als scharfe und humorbegabte Beobachterin der heutigen Immer-noch-Wohlstandsgesellschaft. Einer Gesellschaft, in jeder und jede glaubt, für etwas „stehen“ zu müssen. Von Feminismus, Pazifismus über Vegetarismus und Veganismus bis hin zu Natur- und Tierschutz. Bei ihren Recherchen zum Thema stieß Dosch auf einen ähnlichen Fall, der bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ging. Der Hund wurde getötet, noch bevor der Fall entschieden war. Aber statt sich in ihrem Film auf die Persiflage einer woken Gemütsschieflage zu konzentrieren, will sie offenbar, dass ihre Anamnese einer gespaltenen Gesellschaft nicht – oder nicht nur – zum Lachen bringt. Sie will auch ernst genommen werden. Vielleicht tendiert sie deshalb in ihrer Darstellung der Hunde-Anwältin zu einem nervigen Overacting. So wie sich der Hund vorzugsweise in Frauen verbeißt, die ihm die Pole-Position beim Herrchen streitig machen könnten, so verhalten sich auch die Menschen, die verbissen ihre Karriere verfolgen.
Diesen Vergleich legt die „Botschaft“ des Films nahe. Jeder beißt jeden – und versucht danach straffrei davon zu kommen. Der Versuch, Parallelen zwischen der Situation von Frauen, Einwandererinnen, Tieren und anderen benachteiligten Gruppen in der Gesellschaft zu ziehen, erscheint jedoch als ein recht ehrgeiziges Unterfangen, das nicht wirklich aufgehen kann. Und es klopft die Handlung des Films bisweilen mit dem Holzhammer weiter. Aber – und damit sind wir wieder beim „Palm Dog Award“ – der Hund agiert wirklich sehenswert.
INFO: CH/F 2024. 83 Min. Von und mit Laetitia Dosch. Mit François Damiens, Jean-Pasqual Zadi.
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