Chinas Botschafterin: „Wir haben 4.000 Jahre ohne die USA überlebt“

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Seit Donald Trump am 2. April den „Tag der Befreiung“ ausgerufen hat, befinden sich China und die USA, die beiden mit Abstand größten Volkswirtschaften der Welt, im Handelskrieg.

Im KURIER-Gespräch wirbt Chinas Botschafterin Qi Mei deshalb für einen Schulterschluss zwischen Brüssel und Peking – um, wie sie sagt, einen neuen Kalten Krieg zu verhindern.

KURIER: Seit Jahren spricht Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping davon, die USA würden China “eindämmen“ wollen. Sind Donald Trumps Zölle die Bestätigung dieser These?

Qi Mei: Die Vereinigten Staaten verharren seit Jahren in der Mentalität des Kalten Krieges und der Idee eines Nullsummenspiels, bei dem nur eine Seite gewinnen kann. Nicht nur einige Politiker, auch US-Thinktanks verbreiten in anderen Staaten das Narrativ, China wäre eine Gefahr. Sie zielen darauf ab, Chinas Entwicklung zu schaden und Konflikte zu provozieren.

Dazu gehört auch der jetzige Handelskonflikt, der von den USA mit diesen Zöllen losgetreten wurde. Er ist typisch für den Protektionismus und die schikanierende Außenpolitik der USA. China hat deshalb Gegenmaßnahmen in Kraft gesetzt; nicht nur zum Schutz seiner eigenen Interessen, sondern auch der globalen Wirtschaftsordnung und des Freihandels.

Qi Mei ist seit 2023 Botschafterin der Volksrepublik China in Österreich. Zuvor hielt sie Posten in Schweden und Norwegen sowie Äquatorialguinea.

Glauben Sie, dass China den längeren Atem hat?

China existierte vor der Gründung der USA bereits 4.000 Jahre lang, wird also jedenfalls weiter bestehen. Amerika ist ein wichtiger Teil des Weltmarktes, aber das bedeutet nicht, dass wir ohne ihn nicht überleben können. 

Wenn es für chinesische Firmen Herausforderungen im US-Markt gibt, werden sie andere Möglichkeiten abwägen. Das ist eine sachliche Reaktion auf die aktuelle Realität. Trotzdem wollen wir natürlich nicht, dass die Weltwirtschaft in zwei Lager gespalten wird. China steht weiterhin für Globalisierung und internationale Zusammenarbeit. 

Ist es Chinas Ziel, die USA als Weltmacht abzulösen?

China will keine anderen Staaten von ihrer Position verdrängen. Unser Ziel ist es, das Leben unserer Bevölkerung zu verbessern und mehr zur Welt beizutragen. 

Wie könnte sich die Beziehung zwischen China und den USA wieder verbessern?

Wir sind uns bewusst, dass es eine der wichtigsten bilateralen Beziehungen der Welt ist. Unsere Haltung bleibt deshalb unverändert und fußt auf drei Prinzipien: Gegenseitigem Respekt, friedlicher Koexistenz und für beide Seiten vorteilhafter Zusammenarbeit.

Momentan sprechen wir aber über einen Zoll- und Handelskrieg. Der schadet nicht nur China und Europa, er ist auch nicht im Interesse der USA. Unsere Tür für Verhandlungen bleibt offen, aber Gespräche müssen auf den genannten Prinzipien basieren. Maximaler Druck oder Zwang sind nicht der richtige Weg im Umgang mit China. Wir werden unsere legitimen Interessen schützen.

Sehen Sie durch die Zölle eine Möglichkeit für eine Annäherung an Europa?

Wir messen den Beziehungen zu Europa große Bedeutung bei. Beide Seiten verfügen über riesige Märkte, verkörpern große Zivilisationen und stellen gemeinsam ein Drittel der Weltwirtschaft und ein Viertel des Welthandels. Wenn China und die EU eng zusammenarbeiten, wird ein neuer Kalter Krieg in Zukunft unmöglich sein, die Welt wäre stabiler und sicherer. In den vergangenen Jahren haben die Beziehungen jedoch unter dem Einfluss Dritter gelitten.

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Botschafterin Qi Mei im Gespräch mit KURIER-Außenpolitikredakteur Johannes Arends.

Umfragen zeigen, dass  nur ein Drittel der Europäer hegt positiv über China denkt. Gleichzeitig wird Ihr Land in öffentlichen Papieren der EU sowie einzelner Staaten als “strategischer Rivale“ bezeichnet. Was muss aus Ihrer Sicht passieren, damit sich dieses Bild wieder bessert?

Solche Umfragen zeigen, dass in Europa ein großes Defizit an Wissen über China besteht. Deshalb ist es notwendig, dass wir unser gegenseitiges Verständnis fördern. Diese dreifache Positionierung der EU gegenüber China, das gleichzeitig als „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“ bezeichnet wird, belastet unsere Beziehungen in der Praxis. Wir lehnen vor allem den Begriff „Rivale“ ab.

Jedes Land hat seine eigene Kultur, eigene Bedingungen und einen eigenen Entwicklungsweg, der das jeweilige politische System hervorbringt. Das ist ganz natürlich. Wir haben kein Problem damit, offen zuzugeben, dass es Unterschiede zwischen China und Europa gibt  – aber in Chinas traditioneller Philosophie legen wir großen Wert auf Harmonie und das Streben nach Koexistenz. „Partner“ ist deshalb aus unserer Sicht die einzig richtige Bezeichnung.

Österreich hat bisher keine nationale China-Strategie beschlossen. Wie bewerten Sie die Beziehung zwischen Peking und Wien?

Seit bald zwei Jahren werde ich fast überall in diesem Land freundlich behandelt und empfangen, dafür bin ich sehr dankbar. Nächstes Jahr feiern wir das 55-jährige Jubiläum unserer diplomatischen Beziehungen. Heute sind Österreich und China freundschaftliche strategische Partner – das wissen viele Menschen in China, nicht nur deshalb kommen sie so gerne als Touristen hierher. 

Umgekehrt haben dank der neuen Möglichkeit der visafreien Einreise im Vorjahr 50.000 Österreicher China besucht. Auch die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit entwickelt sich gut. In China sind mehr als 650 österreichische Unternehmen tätig, umgekehrt sind es etwa 50. Es gibt noch großes Potenzial.

Wie wird sich die neue Regierung in Österreich auf das Verhältnis auswirken?

Alle politischen Parteien in Österreich unterstützen die freundschaftliche strategische Partnerschaft zwischen China und Österreich. Auch die neue Regierung bekennt sich klar dazu, das Ein-China-Prinzip zu respektieren und die Zusammenarbeit fortzusetzen.

Mit dem Ein-China-Prinzip meinen Sie das Verhältnis zur Insel Taiwan. Viele Menschen in Europa sorgen sich vor einem Konflikt, nicht zuletzt aufgrund großer chinesischer Militärübungen in der Taiwan-Straße. Haben Sie dafür Verständnis?

Die Taiwan-Frage ist eine rein interne Angelegenheit, sie berührt Chinas Kerninteressen und betrifft die Souveränität und die territoriale Integrität. Taiwan ist eine Provinz Chinas. Die Übungen der Volksbefreiungsarmee finden also auf eigenem Staatsgebiet statt und sind kein Anlass zur Aufregung. Die jüngsten Manöver dienen als Strafe und Abschreckung für die separatistischen Bestrebungen der Autoritäten auf Taiwan und die Einmischung externer Kräfte.

Aber bergen regelmäßige, großflächige Militärübungen nicht immer die Gefahr eines Unfalls oder Zwischenfalls, der zu einer Eskalation führen könnte?

Die Militärübungen der Volksbefreiungsarmee sind berechtigte und notwendige Reaktionen. Die wahre Bedrohung ist die sogenannte Unabhängigkeitsbewegung Taiwans. Deshalb legen wir so großen Wert auf das Ein-China-Prinzip: Wenn alle Länder diese Verpflichtung einhalten, gibt es keine Gefahr für Frieden und Stabilität in der Taiwanstraße.

Chinas Wirtschaft kämpft spätestens seit der Pandemie mit Problemen: Schwacher Konsum, hohe Jugendarbeitslosigkeit, eine Krise im Immobiliensektor. Wie schlimm ist die Lage?

Chinas Wirtschaft hat viele einzigartige Stärken. Dazu gehört eine ausgeprägte Resilienz. Die chinesische Wirtschaft ist im vergangenen Jahr erneut um fünf Prozent gewachsen, das macht alleine fast ein Drittel des globalen Wirtschaftswachstums aus. Im ersten Quartal dieses Jahres lagen wir sogar bei 5,4 Prozent. 

Darauf sind wir stolz, aber die Herausforderungen sind nicht zu übersehen: Ein unsicheres internationales Umfeld, einige strukturelle Probleme sowie eine schwächelnde Nachfrage.

Wie geht die Regierung diese Herausforderungen an?

Unser Werkzeugkasten ist gut gefüllt, zum Beispiel mit einer proaktiven Finanzpolitik. In diesem Jahr wird Chinas Haushaltsdefizit auf etwa vier Prozent steigen – eine bewusste Maßnahme zur Stimulierung der Wirtschaft. Wir verfolgen auch eine moderat lockere Geldpolitik und arbeiten an einem Sonderaktionsplan zur Förderung des privaten Konsums. Überdies haben wir eine große Sonderanleihe im Wert von etwa 180 Milliarden US-Dollar aufgelegt.

Alle diese Maßnahmen dienen dazu, die Nachfrage in China umfassend anzukurbeln – und sie haben bereits Wirkung gezeigt, zum Beispiel im Immobiliensektor. Sie müssen bedenken, dass China noch immer ein Entwicklungsland ist und großes Potenzial hat.

Zumindest aus Sicht der Welthandelsorganisation (WTO). Andere Länder sehen diese Einstufung als Entwicklungsland kritisch …

Man kann das aber anhand von Zahlen verdeutlichen: Pro Kopf liegt Chinas BIP bei ca. 13.000 US-Dollar. Das entspricht weniger als einem Sechstel der USA und weniger als einem Viertel von Österreich. Haushalte in entwickelten Ländern geben 70 bis 80 Prozent ihres Einkommens für Konsum aus. In China sind es nur etwa 40 Prozent.

Dabei würde schon ein Anstieg der Konsumquote um einen Prozentpunkt etwa eine Billion Yuan – das entspricht etwa 120 Milliarden Euro – an zusätzlichem Konsum bedeuten. Daran sieht man, welches Marktwachstum noch möglich ist. Deshalb wird ein Handelskrieg unser Fundament nicht erschüttern.

Original Quelle + Original Bild:

Kurier

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