Ein Blackout hat Spanien und Portugal zu Beginn der Woche lahmgelegt. Die Suche nach der Ursache oder den Ursachen dauert noch an.
EPA/CARLOS DE SAA

Wenn lange nichts passiert, heißt das nicht, dass es nie passiert. Für den international tätigen Blackout- und Krisenvorsorgeexperten Herbert Saurugg ist der Stromausfall, der Spanien und Portugal Montagnachmittag und teilweise noch Dienstagfrüh lahmgelegt hat und dessen Ursache noch nicht feststeht, keine Überraschung. Ihn überrascht mehr, wie wenig Vorsorge getroffen wird.



STANDARD: Der großflächige Ausfall der Stromversorgung auf der Iberischen Halbinsel Anfang der Woche hat gezeigt, was passiert, wenn das Stromnetz kollabiert. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Vergleichbares in Österreich geschieht?



Saurugg: Wenn wir eines aus diesem Ereignis gelernt haben, dann, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt. In Europa hat es bisher vier Blackouts gegeben. Beim ersten, 1976, waren auch wir betroffen. 2003 war Italien an der Reihe, 2024 mehrere Balkanländer, jetzt Spanien und Portugal. Es sollte uns schon zu denken geben, wenn wir jetzt zwei Ereignisse innerhalb eines Jahres erleben. Auch wenn ein solches Ereignis für Österreich als unwahrscheinlich eingestuft wird, schließt es niemand aus. Wir sollten daher damit rechnen und vorbereitet sein.



STANDARD: Um die Versorgungssicherheit bei Strom sei es gut bestellt, hat erst jüngst die E-Control geurteilt. Liegt die Regulierungsbehörde falsch?



Saurugg: Nein, aber die Aussage bezieht sich immer auf die Vergangenheit. Morgen kann alles anders sein. Wir vergessen leider, dass wir uns in der größten Infrastrukturtransformation aller Zeiten befinden und, wie auch die Netzbetreiber immer wieder warnen, diese nicht wirklich in der notwendigen systemischen Umsetzung durchführen. Und das in vielen Ländern des Verbundsystems gleichzeitig. Das System wird dadurch fragiler und störanfälliger.

Herbert Saurugg, internationaler Experte für Blackout- und Krisenvorsorge.

„Wir haben in den vergangenen fünf Jahren genug Gelegenheit gehabt, zu lernen, dass Unvorstellbares passieren kann“, meint Herbert Saurugg, internationaler Experte für Blackout- und Krisenvorsorge.
Businessfoto Wien

STANDARD: Dass es um die Versorgungssicherheit gut bestellt sei, wurde unter anderem mit den geringen Ausfällen bei der Stromversorgung argumentiert – durchschnittlich 18 Minuten an geplanten und 32 Minuten an ungeplanten Versorgungsunterbrechungen pro Netzkunde und -kundin im Jahr 2023. Netzausfälle aufgrund von Überlastung habe es keine gegeben. Was sagt uns das?



Saurugg: „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“, soll einmal jemand gesagt haben. Tatsächlich vergleicht diese Statistik Äpfel mit Birnen. Sie sagt etwas darüber aus, wie gut unser Vertriebsnetz ausgebaut ist. Und das ist wirklich eine tolle Leistung. Aber sie sagt nichts darüber aus, wie es um die Systemstabilität bestellt ist. Und was nützen viele Jahre mit ähnlichen Werten, wenn plötzlich ein Ausreißer mit 600 Minuten dastehen würde. Wir sollten uns also nicht in falscher Sicherheit wiegen.



STANDARD: Tatsache ist, dass Österreich für lange Zeit von einem großflächigen Stromausfall verschont geblieben ist. Warum könnte sich das ändern?



Saurugg: 1976 waren große Teile Österreichs vom ersten europäischen Blackout betroffen. Das war eine ganz andere Zeit. Wie gesagt, wir befinden uns im größten Infrastrukturumbau aller Zeiten, einer Operation am offenen Herzen, und das weitgehend ohne Sicherheitsnetz. Das geht, das kann aber auch ins Auge gehen. Ich will die hervorragende Arbeit der Netzbetreiber nicht schmälern. Aber wir haben in den vergangenen fünf Jahren genug Gelegenheit gehabt, zu lernen, dass Unvorstellbares passieren kann. Und wir haben jetzt zwei Blackouts in Europa innerhalb eines Jahres erlebt, obwohl solche als unwahrscheinlich gelten.



STANDARD: Was wäre aus Ihrer Sicht dringend zu tun?



Saurugg: Der wichtigste Punkt ist zu akzeptieren, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt, dass wir durch die Vernetzung immer verwundbarer werden und daher auch entsprechende Sicherheitsnetze vorsehen sollten. Also nicht nur die Verhinderung von Ereignissen, sondern auch die Sicherstellung der Bewältigungsfähigkeit. Und zwar nicht nur im Stromsektor selbst, wo das ohnehin passiert, sondern wir als gesamte Gesellschaft. Dazu braucht es eine gesamtstaatliche Koordination, auch wenn ein Großteil der Vorsorge in den Familien und Gemeinden stattfinden muss. Es geht vor allem um Aufklärungsarbeit und einen seriösen Umgang mit diesem ernsten Thema.



STANDARD: Wie sollten sich Haushalte auf den Ernstfall vorbereiten?



Saurugg: Was ich und auch die Zivilschutzverbände seit Jahren empfehlen: Sich für mindestens 14 Tage mit dem Notwendigsten versorgen zu können. Das fängt an mit Trinkwasser für mehrere Tage, Erste-Hilfe-Ausrüstung und Lebensmitteln. Nach dem Stromausfall wird man wieder kochen können, aber die Regale in den Geschäften werden wohl noch mehrere Tage leer sein. Und wenn nicht genügend Menschen vorgesorgt haben, werden sie wahrscheinlich auch nicht zur Arbeit kommen, um die Versorgung wieder hochzufahren. Ein Teufelskreis beginnt. Es ist auch wichtig, darüber nachzudenken, ob und wie die Familienzusammenführung sichergestellt werden kann und wie man sich in der Nachbarschaft am besten helfen kann.



STANDARD: Und Unternehmen?



Saurugg: Hier haben wir gemeinsam mit den österreichischen Sozialpartnern im vergangenen Jahr einen einfachen Leitfaden erstellt. Es geht darum, einfache Abläufe zu definieren, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen wissen, was zu tun ist, wenn nichts mehr geht.



STANDARD: Wie wichtig sind grenzüberschreitende Leitungen, um im Fall des Falles aus den Nachbarländern entsprechende Unterstützung zu bekommen?

Bahnhof in Sevilla mit vielen wartenden Passagieren.

Nichts ging mehr am Montag in Spanien und auch nicht in Portugal. Ein Blackout (im Bild der Bahnhof in Sevilla) hat das öffentliche Leben für mehr als zehn Stunden lahmgelegt.
AFP/CRISTINA QUICLER

Saurugg: Grenzüberschreitende Leitungen und eine bessere Vernetzung helfen, Unterschiede in der Verfügbarkeit von Erzeugung und Verbrauch besser auszugleichen. Wenn man es aber übertreibt, wird das System anfälliger und bricht irgendwann zusammen, wie wir aus den Systemwissenschaften wissen. Deshalb ist es immer wichtig, auch robuste Substrukturen zu schaffen. Ich spreche hier gerne von dezentralen Funktionseinheiten mit einem sektorübergreifenden Energiemanagement, einem „Energiezellensystem“. Anders wird die zunehmende Komplexität nicht beherrschbar bleiben, es sei denn, wir hebeln die Naturgesetze und Erkenntnisse der Evolution aus. Wie immer im systemischen Kontext geht es nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch.



STANDARD: Wie sieht es außerhalb Europas aus?



Saurugg: Dort kommt es immer wieder zu Blackouts, vor kurzem beispielsweise in Puerto Rico, öfters auch in Kuba. Den längsten, großflächigen Stromausfall gab es vor einigen Jahren in Venezuela. Dort dauerte es eine Woche, bis wieder alle mit Strom versorgt waren. Auch in den USA kommt es nach Unwettern immer wieder zu großflächigen Stromausfällen. Man kann damit umgehen, wenn man vorbereitet ist.



STANDARD: Wurden daraus irgendwelche Lehren gezogen?



Saurugg: Diese Regionen sind mit uns nicht wirklich vergleichbar. Das betrifft sowohl die technischen Abhängigkeiten als auch die Selbstwirksamkeit der Bevölkerung. Wenn man gewohnt ist, mit einer Mangelwirtschaft umzugehen, ist man nicht wirklich überrascht oder erwartet, dass jemand anderes die Probleme löst. Bei uns verlässt man sich gerne auf den „Staat“ und vergisst gerne dabei, dass wir alle der Staat sind.



STANDARD: Was wäre noch zu bedenken?



Saurugg: Die Zukunft ist nicht vorherbestimmt. Wir gestalten sie durch unser Verhalten und entscheiden damit, wie hart es uns treffen kann. Sich darauf zu verlassen, dass schon nichts passieren wird, ist naiv und nicht wirklich nachhaltig. Lieber vorsorgen als böse überrascht werden. Übrigens geht es nicht nur um eine Blackout-Vorsorge, sondern diese hilft auch bei vielen anderen Ereignissen oder auch im Alltag, wenn man sich besser kennt und aufeinander abgestimmt ist. (Günther Strobl, 30.4.2025)