ÖVP-Klubchef Wöginger: „Die FPÖ stellt sich ganz bewusst ins Aus“

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Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist August Wöginger Abgeordneter der ÖVP im Parlament. Mit dem KURIER sprach er über das Wahldesaster in Wien, die Sanierung des Budgets – und die Beziehung zur FPÖ:

KURIER: Herr Klubobmann, kurze Manöverkritik zu Wien: Wie kann es sein, dass die ÖVP, die sich als Unternehmerpartei versteht, in der wirtschaftlich stärksten Großregion des Landes keine Rolle spielt und hinter die Neos zurückfällt?

August Wöginger: Das Wahlergebnis vom Sonntag schmerzt, da brauchen wir nicht herumreden. Den einen Grund, warum es nicht funktioniert hat, gibt es ja nie – Niederlagen haben viele Ursachen. In Wien lagen wir in den letzten Jahrzehnten zwischen zehn und 20 Prozent, wir müssen wieder wachsen. Aber ich will den Parteifreunden keine Ratschläge von außen geben. Die Wiener ÖVP stellt sich neu auf und es ist gut, dass tatkräftige Persönlichkeiten bereit sind, die Partei zu übernehmen.

Zieht das Konservative nur noch am flachen Land? Wird die ÖVP zur Landpartei? 

Sicher nicht. Aber man muss auch sehen, dass wir am Land einen enormen Vorteil haben, nämlich: unsere vielen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister – keine Partei hat mehr Bürgermeister als die ÖVP. Das ist eine politische Armada mit enormer Schlagkraft. Aber das bedeutet nicht, dass unsere Inhalte in den Städten nicht ziehen. Wäre das Konservative in Ballungsräumen nicht interessant, hätten wir nicht in großen Städten wie Wiener Neustadt den Bürgermeister gestellt. 

Wechseln wir in den Bund: Das Thema ihrer Regierung ist zur Zeit die Sanierung des Staatshaushaltes. Sie haben sich mit Ländervertretern getroffen, dem Vernehmen nach ist das Sparpaket fertig. Was kommt?

Da muss ich Sie korrigieren. Das Sparpaket wird noch verhandelt – und deshalb werden Sie von mir jetzt keine Details hören. 

Dann gehen wir ins Grundsätzliche: Im Regierungspakt steht, die Verantwortung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden soll neu geordnet werden. Über genau dieses Thema wird seit Jahrzehnten geredet. Warum sollte es jetzt etwas werden?

Weil die Situation schon etwas anders ist. Der Reformdruck ist enorm, der Bund, die Gemeinden und alle Landeshauptleute sagen klar: Wir wollen gemeinsam das gesamtstaatliche Defizit wieder in den Griff bekommen. Das darf man nicht geringschätzen. 

Aber wo wird denn die Verantwortung zwischen Bund und Länder neu geordnet? Was schwebt Ihnen vor?

Die Bereiche, wo wir uns besser aufstellen können, sind hinlänglich bekannt: Dazu gehören der Gesundheitsbereich und die Bildung. Ohne die Verhandlungen vorwegzunehmen, sind sich alle einig: Wir könnten uns hier noch effizienter aufstellen und Steuergeld sparen, das anderswo besser Verwendung findet. 

Sie sind Klubobmann in Österreichs erster Dreier-Regierung. Schon die Koordination zu zweit ist komplex. Wie lange hält das?

Selbst wenn Sie’s mir nicht glauben: Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut – und wir haben in den ersten Wochen gezeigt, dass wir in der Lage sind, auch schwierige Themen zu beschließen.

Welche meinen Sie? 

Zum Beispiel der Stopp beim Familiennachzug. Hier gab’s viel Gesprächsbedarf, weil wir dieses Thema nicht alle gleich gesehen haben. Und dennoch gibt es jetzt – dank vieler Gespräche – eine Einigung, die alle mittragen. Ähnlich war’s beim Mietenstopp oder dem Handyverbot in den Schulen. Und letzte Woche gabs von uns auch ein Signal an die Mitarbeiter im Pflegebereich. 

Dazu kommen wir gleich. Aber warum gehen jetzt Dinge, die etwa mit den Grünen nicht umsetzbar waren? 

Ich habe früher  einmal Kollektivverträge verhandelt. Und dort wie auch in einer Bundesregierung geht es vor allem um eines: Man muss sich in die Lage des anderen hineinversetzen können und spüren, wo dessen Druckpunkte sind. Ich glaube, die wichtigen Vertreter aller drei Parteien haben ein gegenseitiges Grundverständnis entwickelt. Deshalb geht das jetzt. 

Aber wie nachhaltig sind diese Lösungen? Sie haben erwähnt, dass die Schwerarbeiterregelung für Pflegekräfte geöffnet wird. Rotes Kreuz und andere Hilfsorganisationen sagen: Unsere Mitarbeiter arbeiten auch schwer, wir wollen das auch. Haben Sie die Büchse der Pandora geöffnet? 

Die Schwerarbeiterregelung ist ein Bürokratiemonster geworden. So passiert es beispielsweise vor Arbeitsgerichten immer wieder, dass Mitarbeiter in ähnlichen Situationen völlig anders behandelt werden. Der eine bekommt die Schwerarbeiterregelung, der andere nicht. Das wollen wir ändern, es geht um Gerechtigkeit. Die Voraussetzungen bleiben ohnehin streng: Man muss 45 Versicherungsjahre vorweisen können, und in den letzten zwanzig Arbeitsjahren zehn in der Pflege gearbeitet haben, um mit 60 in Pension gehen zu können. 

Sie schließen aber nicht aus, auch andere Berufsgruppen noch in die Schwerarbeitsregelung zu nehmen… 

Man kann nie etwas ausschließen. Aber bei all meinen Besuchen in Pflegeheimen gab’s eine Bitte, die von den Mitarbeiterinnen kam, und die lautet: Wir wollen die Schwerarbeiterregelung. Das tun wir jetzt – als Zeichen der Anerkennung. 

Bleiben wir beim Stichwort Arbeit: Die ÖVP spricht viel von Leistung. Wann wird Arbeiten steuerlich wieder attraktiver? 

Wir haben uns für die nächsten fünf Jahre viel vorgenommen, ein zentraler Punkt ist die Reform der Sozialhilfe, die wir komplett umkrempeln müssen. Alle, die arbeiten können, sollen ausnahmslos beim Arbeitsmarktservice AMS andocken. Und die Sozialhilfe muss in ganz Österreich einheitlich sein. Ich kann als Politiker einer arbeitenden Familie mit 3.000 Euro Netto-Einkommen nicht erklären, warum man ohne Arbeitsleistung 4.000 Euro netto und mehr bekommt. Das ist der Nährboden für Neid und Bösartigkeit, das zerstört die Basis unseres Zusammenlebens. 

Die Reform des AMS ist ihnen schon in der vergangenen Legislaturperiode nicht geglückt. Warum sollte das jetzt klappen?

Weil es alle wollen. Die Neos und wir wollten das immer schon. Die Menschen empfinden es einfach als ungerecht, wenn der Unterschied zwischen dem Arbeitseinkommen und dem guten sozialen Auffangnetz, das wir gottseidank haben, zu gering ist. Und Gerechtigkeit ist auch der SPÖ ein Anliegen. Insofern haben wir hier das gleiche Interesse. 

Zum Parlament: Sie sind seit 22 Jahren Abgeordneter, seit acht Jahren Klubobmann. Wie beurteilen Sie die Amtsführung von Nationalratspräsident Walter Rosenkranz? 

Ich kenne ihn schon lange, wir waren gemeinsam Klubobleute einer Regierung, ich schätze ihn prinzipiell als Person, er war korrekt und hatte Handschlagqualität. In der jüngeren Vergangenheit gab es aber ein paar Aktionen, die mich negativ überrascht haben.

Was zum Beispiel?

Die Fälle sind hinlänglich bekannt. Der Besuch von Viktor Orbán, die Sache mit seinem Büroleiter, all das haben wir als ÖVP nicht goutiert und durchaus kritisiert. 

Ist Rosenkranz souverän mit der Auseinandersetzung um den Nationalfonds umgegangen? 

Mich hat überrascht, wie er sich verhalten hat. Das hätte ich nicht erwartet. Mehr will ich dazu gar nicht mehr sagen.

Wie schauen Sie insgesamt auf die FPÖ. Immerhin hätten Sie mit ihr beinahe eine Koalition gebildet? 

Die FPÖ stellt sich bei vielen Fragen mittlerweile ganz bewusst ins Aus und versucht, eine Parallelwelt abzubilden. Es ist wohl kein Zufall, dass sich FPÖ-Chef Herbert Kickl als einziger Parteichef bei der Feier zur Wieder-Errichtung der Zweiten Republik vertreten hat lassen. Vermutlich grübelt er noch darüber, warum er nicht Bundeskanzler geworden ist. Dabei ist die Antwort einfach: Er wollte nicht. Und ich sage ihnen ganz offen: Ich bin sehr froh, dass diese Dreier-Koalition zustande gekommen ist.

Original Quelle + Original Bild:

Kurier

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