Wenn der Notarzt via Bildschirm hilft

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Lokalaugenschein von noe.ORF.at in der Leitstelle von Notruf Niederösterreich in St. Pölten. Rund 50 Personen arbeiten zur Hauptzeit – am Vormittag und rund um Mittag – in den Räumlichkeiten, die ein bisschen einem Callcenter ähneln. Die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden Calltaker bezeichnet, sie tragen Headsets und organisieren Krankentransporte und Rettungseinsätze. Die Arbeitsplätze sind mit blauen Trennwänden unterteilt. Ein Supervisor hat den Überblick über alle Einsätze und verfügbaren Kräfte.

Inmitten des Teams sitzt ein sogenannter Leitstellenarzt. Ein Schreibtisch mit sechs Monitoren – aufgeteilt auf zwei Reihen –, ein Telefon, daneben ein Thermobecher für den Kaffee – das ist der Arbeitsplatz von Markus Hüsemann. Der 36-Jährige ist mit einer Acute Community Nurse verbunden – das ist eine diplomierte Pflegekraft mit der höchsten Notfallsanitäterausbildung – die zu einem Patienten mit Schmerzen alarmiert wurde.

Hüsemann bekommt auf seine Bildschirme sämtliche Gesundheitsdaten des Patienten übertragen: die Aufzeichnung der Herzaktivität genauso wie den aktuellen Puls und sogar ein Live-Video des Patienten, das von der Acute Community Nurse via Smartphone übertragen wird. „Das EKG ist unauffällig, ich empfehle einen Transport in eine Notfallambulanz“, so der Telenotarzt.

Entlastung für Vor-Ort-Notärzte

Hüsemann ist hauptberuflich Anästhesist in der Klinik Ottakring in Wien, nebenbei bei der Berufsrettung in Wien als Notarzt und als Veranstaltungsnotarzt für verschiedene Rettungsorganisationen tätig. Seit kurzem arbeitet der 36-Jährige als Telenotarzt bei Notruf Niederösterreich.

„Wir hatten vor einiger Zeit in Wien ein Pilotprojekt zum Thema Telemedizin und es hat uns im täglichen Alltag als Notarzt auch in Wien gezeigt, wie sehr die Rettungsmittel dadurch entlastet werden können“, sagt er im Interview mit noe.ORF.at. „In Niederösterreich ist das Projekt doch schon einen Schritt etablierter als aktuell in Wien und ich finde es interessant, auch einmal diese Seite der Telemedizin kennenzulernen.“


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Der Telenotarzt bekommt sämtliche Gesundheitsdaten auf seine Bildschirme übertragen, darunter auch ein Live-Video des Patienten (gestellte Szene)

In Niederösterreich gibt es zwei Telenotarztprojekte: Jenes vom Roten Kreuz ist seit rund einem Jahr im 24-Stunden-Betrieb und zog erst kürzlich mit 1.000 Einsätzen Zwischenbilanz – mehr dazu in Telenotarzt bereits 1.000 Mal eingesetzt (noe.ORF.at; 12.4.2025). Das System von Notruf Niederösterreich wurde erst vergangenen Herbst gestartet und steht sämtlichen Rettungsorganisationen offen.

Bislang war der Telenotarzt in der Leitstelle in St. Pölten nur zwölf Stunden pro Tag – von 7.00 bis 19.00 Uhr – verfügbar. Zehn bis 15 Einsätze waren im Schnitt zuletzt täglich zu absolvieren. Nun wird das Angebot im Auftrag des Landes und folglich auch finanziert vom Land ausgebaut. Mit 1. Mai ist der Telenotarzt von Notruf Niederösterreich 24 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche verfügbar.

Voraussetzung: Fünf Jahre Facharzt, 500 Notarzteinsätze

Telenotärzte benötigen mindestens fünf Jahre Erfahrung als Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin, müssen mindestens 500 Notarzteinsätze – bodengebunden oder mit dem Hubschrauber – absolviert haben und durchlaufen drei Ausbildungstage in der Leitstelle von Notruf Niederösterreich, um das Rettungs- und Krankenhaussystem in Niederösterreich im Detail kennenzulernen. Anschließend können sie ihren Dienst antreten – in der Leitstelle oder im Homeoffice.

Notruf Niederösterreich verfügt über einen Pool von 15 Telenotärzten. Die meisten von ihnen arbeiten hauptberuflich in einer der Kliniken der Landesgesundheitsagentur in Niederösterreich, einige in Wien, zwei in Deutschland. Ärztemangel ist hier kein Thema, sagt Nicole Kordina, medizinische Leiterin bei Notruf Niederösterreich. „Telemedizin ist immer mehr im Kommen und es gibt junge und engagierte Kolleginnen und Kollegen, die dabei sein wollen. Somit haben wir momentan kein Personalproblem.“

Telenotarzt Markus Hüsemann


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Telenotarzt Hüsemann: „Durch Telemedizin können Rettungsmittel entlastet werden“

Der Telenotarzt dient laut Kordina vor allem als Rückfragemöglichkeit für Acute Community Nurses, wenn diese verunfallte oder erkrankte Menschen erstversorgen. Ebenso hilft er dabei, für Patienten mit lebensbedrohlichen Erkrankungen oder Verletzungen ein geeignetes Zielkrankenhaus festzulegen. Zusätzlich unterstützt er bei Intensivtransporten und darf seit vergangenem Herbst Todesfeststellungen via Bildschirm durchführen. „Bei erwartet verstorbenen Personen in den Pflegeheimen, aber auch im extramuralen Bereich. Mittlerweile haben wir 95 telemedizinische Todesfeststellungen absolviert, das funktioniert tadellos“, sagt Kordina.

Telenotarzt in vielen Fällen „absolut ausreichend“

„Wir haben grundsätzlich relativ viele Informationen, auf die wir zugreifen können. Wir können auf die Monitordaten als Livefeed zugreifen, wir können uns per Video dazuschalten, mit dem Rettungsmittel vor Ort telefonisch Kontakt aufnehmen und bekommen dadurch viele Informationen, die wir vor Ort sonst auch bekommen würden. Dadurch dass ausgebildetes Personal vor Ort ist, sind für Rückfragen relativ gute Möglichkeiten vorhanden“, sagt Telenotarzt Markus Hüsemann. Sollte man sich in einer bestimmten Situation nicht sicher sein, bestehe noch immer die Möglichkeit, einen Notarzt direkt zum Einsatzort zu schicken.

Bei vielen Einsätzen sei der Telenotarzt „absolut ausreichend“, so der Mediziner. „Es wird aber immer Situationen und Fälle geben, wo ein Notarzt vor Ort nicht ersetzbar sein wird.“ Als rote Linie werden bei Notruf Niederösterreich etwa Verkehrsunfälle bezeichnet. Hier wird auch in Zukunft ein Notarzt physisch vor Ort erscheinen und nicht nur am Bildschirm.

Original Quelle:

orf.at

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