Die USA haben einen Handelskrieg vom Zaun gebrochen, der ihnen vermutlich selbst mehr schadet als den meisten anderen Ländern der Welt. China steckt immer noch in einer Immobilienkrise fest: Die Konsumenten sind verunsichert, weshalb sie viel sparen und wenig ausgeben. China kämpft gegen eine Deflation. Es ist also nicht so, dass andere Weltregionen keine Probleme haben. Und dennoch sticht die schwache wirtschaftliche Entwicklung in Europa sogar in diesem negativen Umfeld noch hervor.

Offensichtlich geworden ist das neuerlich bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) vergangene Woche in Washington. Der IWF präsentierte dabei seine neue Prognose. Die Eurozone ist im Vergleich zu allen übrigen Industrieländern abgeschlagen, das BIP soll heuer um gerade 0,8 und im kommenden Jahr um 1,2 Prozent zulegen, schon 2024 blieb man zurück. Die US-Wirtschaftsleistung dürfte dagegen trotz des Handelskrieges um 1,8 Prozent zulegen, abseits von Trumps Eskapaden ist die Wirtschaft stabil. In China soll das Wachstum bei vier Prozent liegen.



Diese maue Entwicklung in Europa fußt aktuell vor allem auf der Schwäche traditionell starker Industrieländer. Die deutsche Wirtschaftsleistung wird 2025 stagnieren. Österreich befindet sich sogar das dritte Jahr in der Rezession. Auch die Slowakei und das Nichteuroland Tschechien entwickeln sich schwach.



Gleiche Frage, andere Antworten

Welche Rezepte gibt es nun, um die Wirtschaftsdynamik insbesondere in Zentraleuropa wiederzubeleben? Diese Debatte wurde in Washington geführt, wobei die Antworten darauf bemerkenswerterweise ganz anders ausfallen als in Österreich. Hierzulande wird jede Debatte über ausbleibendes Wachstum schnell zu einer Diskussion über Lohnkosten. Angetrieben von der hohen Inflation, sind die Lohnabschlüsse der vergangenen Jahre in Österreich tatsächlich hoch gewesen. Ein Gradmesser dafür ist die Entwicklung der Lohnstückkosten. Der Indikator misst, in welcher Relation sich Arbeitskosten und Produktion entwickeln. Steigen die Lohnsumme und die produzierte Menge an Gütern gleich stark an, bleiben die Lohnstückkosten konstant. In Österreich war das nicht der Fall, die Lohnstückkosten der heimischen Industrie sind seit 2020 um 23 Prozent gestiegen, rechnete das Forschungsinstitut Wifo jüngst vor. Das Plus war in keinem Euroland so stark.

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Die Industriellenvereinigung und ihr nahestehende Organisationen warnen deshalb davor, dass Österreich sich aus dem Markt preise. „Österreichs Arbeitskosten explodieren“, analysierte etwa gerade der Thinktank Agenda Austria. Um gegenzusteuern, wird gefordert, die Lohnkosten zu senken. Die Chefs der führenden heimischen Forschungsinstitute Wifo und IHS, Gabriel Felbermayr und Holger Bonin, haben vor kurzem der Politik Lohnzurückhaltung empfohlen. Die Regierung wiederum erwägt auf Wunsch der ÖVP und der Neos, die Lohnnebenkosten ab 2027 zu senken – sofern dafür Geld da ist.



Vom Internationalen Währungsfonds, einem klassischen Zentrum des Wirtschaftsliberalismus, kommen keine Empfehlungen in diese Richtung an Österreich, sondern ganz andere Vorschläge. Der für Europa zuständige IWF-Chefökonom, Alfred Kammer, hat in Washington von Europa stattdessen eine Reihe von Reformen eingemahnt. Der wichtigste Input dabei: Die EU sei immer noch entlang nationalstaatlicher Grenzen fragmentiert. Ein wirklich einheitlicher Markt wie in den USA existiere weder für Waren noch für Dienstleistungen oder für Kapital. Der IWF hat sich angesehen, wie viele Waren über Europas Binnengrenzen hinweg gehandelt werden, und festgestellt, dass der Strom viel kleiner ist als innerhalb der USA. Die Hürden im europäischen Handel wirken so, als gäbe es einen Zollsatz von 44 Prozent. Bei Dienstleistungen ist es so, dass der Zollsatz sogar über 100 Prozent liegt. Natürlich gibt es in der Realität keine echten Zölle, aber laut IWF sind Unternehmen bei grenzüberschreitenden Geschäften mit zusätzlichen Kosten konfrontiert, durch unterschiedliche Regeln etwa.

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Die Transformation zulassen, Finger weg von Staatshilfen, rät der IWF.
Christian Fischer

Das Ergebnis der Fragmentierung ist mit freiem Auge sichtbar: Energieunternehmen bieten ihre Leistungen oft nur in ihren Heimmärkten an, auch die Banken- und Versicherungslandschaft ist nicht einheitlich. Das verhindere, dass Unternehmen die Vorteile großer Märkte voll nutzen können und dynamisch wachsen, sagt IWF-Europa-Experte Kammer. Dass es keinen großen Kapitalmarkt gibt, verhindere wiederum, dass Start-ups genügend Risikokapital finden. Um zu wachsen, gehe die kreative und junge Industrie in die USA. Europa müsse daher die Integration im Binnenmarkt verstärken. Ein echter gemeinsamer Energiemarkt würde helfen, die Preise herunterzubekommen, auch Kapitalmarkt- und Bankenunion gehörten her. Sollte es gelingen, den EU-Binnenmarkt derart zu vertiefen, ließe sich das Wachstum damit um drei Prozent steigern.



Dagegen: Finger weg von teuren Staatshilfen für kriselnde Industrien, auch im Automobilsektor, sagt der IWF. Die Transformation halte man damit sowieso nicht auf. Um die Abhängigkeit von den USA zu verringern, sollte Europa außerdem dringend Handelsabkommen mit anderen Weltregionen abschließen (Mercosur), lautet eine weitere Empfehlung des Fonds.



Ein Gerücht aus Europa

Und was ist mit hohen Lohnsteigerungen in Österreich, sind die kein Problem? Danach gefragt, sagt Kammers Kollegin beim IWF, Oya Celasun: Österreich würde von der vertieften EU-Integration besonders profitieren. Außerdem sollte das Land dringend die Integration älterer Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt forcieren und die Teilhabe von Frauen erhöhen, etwa über mehr Angebote bei der Kinderbetreuung. Da habe man Aufholpotenzial. Kammer ergänzt: „Es gibt das Gerücht, dass Europa nicht wettbewerbsfähig ist. Das ist falsch.“ Europa exportiere deutlich mehr Waren und Dienstleistungen, als es umgekehrt einführt, so der Ökonom (was auch für Österreich zutrifft), aber die Rahmenbedingungen verändern sich, etwa wird der Mitbewerb aus China stärker.



Eine andere Debatte drehte sich in Washington um die Frage, welchen Anteil an der dynamischen Wirtschaftsentwicklung in Amerika der Arbeitsmarkt hat. In der Pandemie hat die Zahl der Jobwechsel in den USA stark zugenommen, um Mitarbeiter zu binden oder zu halten, müssten US-Unternehmen mehr Lohn bieten. Gleichzeitig haben US-Unternehmen auch mehr investiert, besonders in den IT-Sektor, wohl auch, um die höheren Lohnkosten durch mehr Produktivität aufzufangen. Ein IWF-Forschungspapier argumentiert, dass das Experiment aufgegangen ist, die Produktivität entwickle sich über viele Sektoren hinweg in den USA besser als in Europa, wo hohe Kurzarbeitshilfen eher dafür gesorgt haben, dass Menschen in ihren bisherigen Jobs geblieben sind. (András Szigetvari, 30.4.2025)